Stolpersteine werden, wo sie schon verlegt sind, entfernt. Die Angehörigen, unbescholtene Bürger, die ihre eigenen Vorstellungen vom würdevollen Erinnern haben, werden sich auch in Zukunft nicht durchsetzen. Und der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde steht inzwischen einhellig hinter der Präsidentin.
Dr. Hanna Rheinz Publizistin

Ein wenig gequält blickt der grauhaarige Herr in die Video-Kamera. Vor mehr als 25 Jahren hatte er das erste Jüdische Museum in München gegründet, blieb aber nicht lange auf seinem Posten. Die Jüdische Gemeinde und ihre Kulturvertreter erhoben Ansprüche und er verzichtete, überaus verständnisvoll, auf Amt und Würden.
Heute ist er ein allseits beliebter Mitbürger, der gerne aushilft. Zum Beispiel der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG).
Wie er sind auch andere beliebte Bürger vor die Kamera getreten, um ihrer Entrüstung über das unwürdige Spektakel Ausdruck zu verleihen, das sich auf Münchner Straßen abspielen könnte.

Ja, sie sind unbedingt gegen diese unwürdige Art des Gedenkens. Da könne ja jeder kommen und die Opfer nochmals mit Füssen treten…
Diese Video-Filme mit ihren Beteuerungen, unbedingt gegen die Stolpersteine zu sein, werden inzwischen zu Dutzenden gezeigt. Sie sollen beweisen, dass die Präsidentin Dr. h.c. Charlotte Knobloch sich bei ihrem ablehnenden Votum auf eine große, auf eine einstimmige Mehrheit stützen kann.

Wenn man einen Gegner mundtot machen will, ist es nützlich, Begriffe wie „Ewiggestrige”, „Unbelehrbare”, „Rechtslastige” und „Israelfeinde” fallen zu lassen. Die Erfahrung zeigt, dass Politiker daraufhin das Weite suchen und Journalisten überraschende Kehrtwenden vollziehen.
Keiner will als einziger auf der falschen Seite des Ufers erwischt werden. So geschah es auch in München.
Während der Stadtrat am 29. Juli 2015 bei der Debatte um die Frage, ob Stolpersteine in München verboten werden sollen oder nicht (sie werden verboten!) „mit großem Respekt” vor den Opfern des Holocaust auffiel, so der Stadtrat Marian Offman auf seiner Facebook-Seite, kamen die Befürworter der Stolpersteine weniger gut weg.
Noch nicht einmal die Kompromiss-Vorschläge des Kulturreferenten fanden Gnade. Münchens Stadträte schlossen sich weitgehend einhellig der Ablehnung der Präsidentin der Jüdischen Gemeinde an.
Stolpersteine werden, wo sie schon verlegt sind, entfernt. Die Angehörigen, unbescholtene Bürger, die ihre eigenen Vorstellungen vom würdevollen Erinnern haben, werden sich auch in Zukunft nicht durchsetzen. Und der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde steht inzwischen einhellig hinter der Präsidentin.
Um zu verstehen, warum diese Frage “Stolpersteine Ja oder Nein?” überhaupt einer Darstellung wert ist, muss man sich vor Augen halten, wie es um Themen bestellt ist, die einen Bezug zu „Judentum” und „Israel” haben: Sie finden nur selten das Interesse der Öffentlichkeit.
Die Folge dieser fehlenden Akzeptanz: Die Abruf-Statistiken der YouTube-Beiträge selbst prominenter Vertreter der jüdischen Gemeinschaft kommen kaum über die Marke von 100 Klicks hinaus.
Im letzten Jahr wurde die mit Unterstützung der politischen Elite dieses Landes geplante Groß-Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin zu einem Flop. Dieses Jahr ist es die Maccabiade, die Olympiade der Juden und Israelis, die in Berlin zu einem Debakel wird, weil das Interesse der Berliner Öffentlichkeit fehlt und die Zuschauerreihen bei diesen Sportwettkämpfen leer bleiben.
Umso überraschender dagegen der Erfolg der Stolperstein-Aktion, die 2003 vom Kölner Künstler Günter Demnig initiiert wurde. Ausgerechnet ein Gedenkprojekt hat europaweit einen phänomenalen Erfolg!
Bereits heute gilt das Projekt der Erinnerungssteine, so berichtet der SPIEGEL, als „das größte dezentrale Mahnmal der Welt” ((29.7.2015)

GEDENK-PROJEKT AUF ERFOLGSKURS
Über 50.000 verlegte Stolpersteine in 1300 Orten Europas. Jeder Bürger kann für einen Betrag von nur 120 Euro der ermordeten Nachbarn oder Angehörigen gedenken!
Mit Beteiligung von Schulklassen und Nachbarschaftsvereinen werden diese „Stolpersteine”, – Messingkacheln mit den Massen 10x10x10 cm (Höhe x Breite x Tiefe), auf denen die Name der Ermordeten eingraviert sind, vor den Häusern verlegt und sind Anlass, den früheren Nachbarn und Opfern des Unrechtsregimes zu gedenken.
GESICHT ZEIGEN – AKTUELL
Gibt es eine bessere Form „Gesicht zu zeigen” als diese? Zu demonstrieren wie wichtig Widerstand ist? Tausende von golden aufblitzenden Steinen zeigen, es kann jeden treffen.
Viele Menschen bleiben stehen und beugen sich nieder, um Name und Inschrift zu entziffern. Doch in München, der Stadt, die sich der Vielzahl der hier neben- und miteinander lebenden Kulturen rühmt, wurde die Bewegung gestoppt.
STREIT OHNE ENDE?
Um die Steine, die den Steinen in den Weg gelegt werden, aus selbigem zu räumen, hat der in München ansässige Amerikaner Terry Swartzberg die „INITIATIVE STOLPERSTEINE FÜR MÜNCHEN” gegründet.
Und viel auf die Beine gestellt: Mit fast 100.000 Unterschriften zeigen die Unterstützer, dass sie sich auch vom negativen Stadtrat-Beschluss nicht von ihrem Ziel abbringen lassen werden.
Dies obwohl sie mächtige Gegner haben.
Charlotte Knoblochs Bedenken sind eigentlich gut nachvollziehbar. Wer die Schändungen jüdischer Mahnmale kennt, wünscht sich auch für diese Kacheln einen geschützten Raum. Kann Straßenpflaster in Deutschland je ein geschützter Raum sein?
Umgeben von Menschen, die eventuell sogar mit Springer-Stiefeln oder Kampfhunden die Metallkacheln beschmutzen könnten? Mit Begriffen wie „Trampel-Gedenken” soll die Initiative verunglimpft werden. Doch fallen diese negativen Fantasien nicht zurück auf jene, die sie der Öffentlichkeit auf Biegen und Brechen aufdrängen wollen?

VERTRAUEN STATT MIßTRAUEN STATT ABLEHNUNG ?
Psychologen wissen, dass Vertrauen und nicht Verbote die Türen zur Seele eines Menschen öffnet. Mit Misstrauen und Ablehnung kann man nur eines ernten: Misstrauen und Ablehnung.
Knobloch, die ihr Leben der Rückkehr der Münchner Juden in die Mitte der Gesellschaft und in die Mitte ihrer Stadt gewidmet hat, und von der man einen sehr geschickten Umgang mit Anhängern und Gegnern gewohnt ist, betont bei der Frage der Stolpersteine die Anliegen der Opfer zu verteidigen, die nicht mehr für sich sprechen können, und das heißt hier:
Recht behalten bei ihrem Urteil, dass es sich hier um eine würdelose, unangemessene Form des Gedenkens handelt.
Genau das jedoch sind die Stolpersteine nach Meinung ihrer Anhänger, nicht. Wer die Befürworter der Stolpersteine zu Wort kommen lässt, viele einst Verfolgte des Nationalsozialismus, viele, deren Angehörige ermordet wurden, erkennt, dass hier Menschen aus besten Absichten heraus handeln – und dies der nachwachsenden Generation weiter geben wollen.
Auch die Bedenken, es könne durch diese Form der Bürgerbeteiligung zu einer Inflation von Gedenkhandlungen kommen, scheint eher von der Befürchtung der IKG getragen zu sein, die Kontrolle zu verlieren.
Dass dezentrales Gedenken einen hohen pädagogischen Wert hat, und im Alltag der Menschen mehr in Bewegung zu setzen vermag als zentrale Gedenkveranstaltungen mit den immer gleichen Akteuren und Wortritualen-, kann man an der weltweiten positiven Resonanz auf die Gedenksteine erkennen.
Die „Initiative Stolpersteine” hat bereits angekündigt, vor Gericht zu ziehen, um klären zu lassen, warum die eine „amtliche” Form des Gedenkens rechtmäßig ist, die andere, bürgerliche, nicht. Nach mehr als zehn Jahren Unfrieden werden diese Beschlüsse, so einstimmig sie auch daherkommen, weiterhin Unfrieden stiften. Und dem Image der jüdischen Gemeinschaft schaden.
Auch die Israelitische Kultusgemeinde könnte am Ende zu den Verlierern gehören. Schon heute ist das Klima vergiftet. Und manch ein als „Stolperstein-Fanatiker” Verunglimpfter, könnte die Frage stellen, wie die Einstimmigkeit in dieser Gemeinde und ihrem Vorstand wohl zustande gekommen sein mag. Immerhin ist von einigen Vorstandsmitgliedern und Angestellten der IKG bekannt, dass sie sich früher öffentlich positiv zu den Stolpersteinen geäußert haben.
Die Vorstellung, dass bald Messingkacheln, auf denen die Namen der Ermordeten eingeritzt sind, aus dem Boden gerissen werden, hat etwas Gespenstisches. Hier melden sich repressive Haltungen wieder zu Wort, die längst hätten entsorgt werden sollen.
Denkverbote, Redeverbote, vorauseilende Anpassung an den vermeintlichen Willen der Amtsträger, Durchsetzen um jeden Preis, Unterordnung, Gleichschaltung, Willkür, Intoleranz, Regelungswut, Kleinmut, Heuchelei, Bespitzelung, Intrigen.
Intoleranz, wohin man blickt!
Ein dunkles Zeitalter scheint sich weltweit zurück zu melden. Sogar inmitten jener Stadt, die so oft „die Hauptstadt der Bewegung” genannt wird. Und die man doch so gerne wieder als geheimes Herz der Liberalitas Bavariae, des Leben und Leben lassen – freiheitlich und nach menschlichem Maß und Verhältnis – bezeichnen würde.
Denn schon wieder einmal soll ein Problem durch ein VERBOT „gelöst” werden. Ein KOMPROMIß hätte RESPEKT signalisiert vor den Angehörigen der Opfer, vor den Anwohnern, vor den Menschen, die den Verfolgten persönlich ihre Ehrerbietung erweisen wollen. Und vor den eigenen Bürgern!
DER WILLE ZU ZERSTÖREN vs DER WILLE AUFZUBAUEN
Der Stadtratsbeschluss läuft auf das Verbot der bürgernahen Gedenkkultur zugunsten einer amtlich verordneten hinaus. Die für jeden erschwingliche 120 Euro Messingkachel auf öffentlichem Grund soll durch teure Stelen und Gedenktafeln ersetzt werden, die von den Hausbesitzern genehmigt werden müssen.
Das Wichtigste jedoch ist gar nicht bedacht worden: Wenn man schon Methoden des Missbrauchs als entscheidungsrelevant heranziehen will:
Auch bei den auf Augenhöhe platzierten Tafeln und den kaum die Höhe von Mini-Papierkörben oder Schirmständern für zusammengeklappte Knirpse erreichenden Gedenk-Stelen lassen sich verächtliche Handlungen und Schändungen vollziehen! Die Mini-Stelen können zum Absetzen der Schuhe, zum Niederhocken, zum Zerdrücken von Zigaretten genutzt werden!
Nebenbei bemerkt: Synagogen sind jahrhundertelang geschändet worden! Und die haben bekanntlich vier senkrecht stehende hohe Wände. Auch hier gilt. Nicht die äußere Form, sondern der Wille entscheidet.
Copyright: Dr. Hanna Rheinz

Dieser Artikel wurde in der HuffingtonPost Deutschland veröffentlicht