suchen

Annick Le Guérers Kulturgeschichte der Nase: Die Kunst des Riechens

Von Hanna Rheinz 25. September 1992, 9:00 Uhr Aus der ZEIT Nr. 40/1992

Die Kunst des Riechens – Seite 1

Die Nase wurde lange verkannt. Durch ihre prominente Position am Kopf des Menschen könnte sie eigentlich als “Organ des Denkens” geehrt werden. Statt dessen wird sie als Sinnbild der Triebhaftigkeit verkannt. Den Freuden des Riechens abhold, kanzelte Georg Simmel den Geruchssinn gar als “antisozial” ab.

Wer einen mächtigen Zinken im Gesicht sitzen hat, steht unter dem Diktat des Körpers, der “theoretisch geistige Teil”, die Stirn, werde vom “praktischen”, der aus Freß- und Riechwerkzeugen bestehe, verdrängt, folgerte Hegel. Wie beim Tier komme in der von der Nase dominierten Physiognomie Geistlosigkeit zum Ausdruck. Die Kunst des Riechens entziehe sich der Sittlichkeit, lautete einhellig das Urteil der Moralisten aller Zeiten. Der Mensch könne hier nicht, wie beim Geschmackssinn, “unter vielen Schüsseln und Bouteillen … eine nach seiner Behaglichkeit wählen, ohne daß andere genötigt werden, davon mit zu genießen”, klagte Kant, den die Ausdünstungen des gemeinen Volkes peinigten. Erst in der Ära von Deo und Desinfektion wird olfaktorische Indifferenz, einst Überlebensstrategie, obsolet.

Doch Ekel und Lust liegen oft nah beieinander. Lüstern und verrucht, wer seine Nase in fremde Parfümtöpfe steckt oder gar selbst zur Quelle von Körperausdünstungen wird. Erinnern sie doch an das Animalische im Menschen. “Ob ein Polyp oder ein schwerer Bocksgestank aus zottigen Achselhöhlen vorhanden ist, rieche ich besser, als ein scharfer Hund riecht, wo das Wildschwein sich verbirgt”, frohlockte Horaz.

Am Anfang jedweder kulturellen Sublimierung stand daher der Ehrgeiz, besser zu riechen. Dabei ist es gerade der aufrechte Gang des Menschen, der seine Nasenflügel unweigerlich zur Erde mit all ihren verführerischen Ausdünstungen zwingt. Doch statt den Beitrag der “spitzigen oder stumpfen, feinen oder plumpen, langen oder kleinen, gebogenen oder geraden Nase” zu würdigen, rümpften die Philosophen ihre Nase über den Geruchssinn. Dies zeigt Annick Le Guérer in ihrer aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel aufgerollten Kulturgeschichte.

Die alttestamentarischen Sinnesfreuden des Hohelieds Salomo, der orientalische Aroma-Kult, wie er von den Ägyptern in der Kunst des Mumifizierens gepflegt wurde, fanden im christlichen Abendland keine Entsprechung. Die fauligen, scharfen Ausdünstungen des Körpers mahnten Tod und Verwesung an. Im Paradies stinkt es nicht. Weihrauch lenkte von den Ausdünstungen der betenden Gemeinde ab. Den Mystikern galt fehlender oder lieblicher Körpergeruch, sofern er nicht verführerisch und damit des Teufels war, als Zeichen der Vergeistigung, ja der Heiligkeit. Körpergeruch war zudem Indiz für Krankheit. Der Trugschluß, wonach sich die Essenz der Dinge in ihrem Geruch ausdrückt, bewirkte, daß im Mittelalter die Entstehung von Pestepidemien auf üble Gerüche zurückgeführt wurde. In Schutzmasken mit dem Schnabel voller Riechstoffe, setzten die Ärzte Räucherverfahren in ihrem Kampf gegen die Todesdünste ein. Wurden die Kranken nicht von der Seuche hin weggerafft, erstickten sie als Folge der Behandlung.

Das Mißbehagen der abendländischen Philosophen leitet sich nicht nur von körperfeindlichen christlichen Traditionen ab, spekuliert Guérer. Der Geruchssinn war suspekt, weil er den Philosophen ihre eigene Sprachlosigkeit vor Augen führte. Gerüche sind “nur im Verhältnis zu anderen und nicht für sich definierbar”. Ein Geruch kann als beißend, ätzend, puderig, sogar durch Farbvergleiche beschrieben werden, stets bleibt etwas Unauflösbares, Subjektives, ein Geheimnis zurück. Das Riechen widersetzt sich der Objektivierung, ist schlichtweg nicht beweisbar und wird zum Paradigma des intuitiven, nicht operationalisierbaren Begreifens der Wirklichkeit. Von Rationalisten und Idealisten als trügerisch mißachtet, stand die Nase auf der untersten Stufe der Hierarchie der Sinne.

Erst im 18. Jahrhundert wird der Geruchssinn als Erkenntnismethode rehabilitiert. Unter den deutschen Philosophen war es Nietzsche, der auf seine nasenfeindlichen Kollegen mit ihrer “Totengräber-Mimik” schimpfte und eine Bresche schlug für jedwede “hündische Nasenverfeinerung”. Da Urteilen und Philosophieren auf der Grundlage des Empfindens stattfindet, bedürfen die Sinne wie das Denken der Schulung, um “naseweis” Werkzeug der philosophischen Neugierde zu werden. Immer um eine Nasenlänge voraus waren dabei jene, die wie Proust “den Geruch als Hüter der Vergangenheit” nutzten.

Die Kunst des Riechens – Seite 2

Daß etwas dran sein könnte an der Hypothese der “Sehernase”, daß Geruch Kommunikation ist, bestätigen übrigens die Erkenntnisse über Pheromone, Sexualsekrete, die als chemische Signale Affekte und Verhalten verändern. Sogar der legendäre Wohlgeruch der Asketen kann heute durch Stoffwechselabbauprodukte erklärt werden.

Hanna Rheinz

Annick Le Guérer:

Die Macht der Gerüche

Eine Philosophie der Nase; aus dem Französischen von Wolfgang Krege; Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1992; 295 S. 44,– DM