Warum “Auschwitz” und “der Gedenktag für die Opfer des Holocaust” heute aktueller sind als je zuvor
Die Bundeskanzlerin, die stets an der Seite der Opfer stand, allen voran den jüdischen, war bis vor kurzem eine Hoffnungsträgerin für die in Deutschland lebenden Juden und wurde dafür von den Vertretern des „Zentralrats der Juden in Deutschland” mit einer beachtlichen Anzahl von Preisen und Würdigungen ausgezeichnet.
Dr. Hanna Rheinz Publizistin
Seitdem alljährlich der 27. Januar als „Gedenktag für die Opfer des Holocaust” begangen wird, hat sich einiges verändert im Land. So ist der Gedenktag überraschenderweise in das „Ökumenische Heiligenlexikon” aufgenommen worden und bei den Feiern im Deutschen Bundestag sorgt neben klassischer Musik ein „Dachau-Lied”, von Schulchören vorgetragen, für würdevolle Stimmung.
Der Programmpunkt „Zeitzeugen” ist von Jahr zu Jahr schwieriger zu besetzen. Doch schon bald könnte es noch größere Probleme bei der Gestaltung des Gedenktages geben. Sollten sich die Mahnrufe des Oberrabbiners von Brüssel bewahrheiten, könnten Deutschland bald sogar jüngere Juden ausgehen!
Der Oberrabbiner Avraham Gigi hat im November 2015 laut „Tachles” die demographische Entwicklung vieler europäischer Länder mit ihrem auf bis zu 20 Prozent wachsenden muslimischen Bevölkerungsanteil wegen des zu erwartenden Anstiegs des Antisemitismus, als nicht vereinbar mit jüdischem Überleben bezeichnet.
Dass der Gedenktag vermutlich nicht mehr lange in der bewährten Form, mit Blick auf die Vergangenheit – gestaltet werden kann, hat noch andere Ursachen.
Die Bundeskanzlerin, die stets an der Seite der Opfer stand, allen voran den jüdischen, war bis vor kurzem eine Hoffnungsträgerin für die in Deutschland lebenden Juden und wurde dafür von den Vertretern des „Zentralrats der Juden in Deutschland” mit einer beachtlichen Anzahl von Preisen und Würdigungen ausgezeichnet. Verdientermaßen, denn auch Israels Sicherheit ist für die Bundeskanzlerin ein wichtiges Anliegen.
Dass ausgerechnet von Deutschlands Politik der offenen Grenzen und der Flüchtlingshilfe für die jüdische Bevölkerung aktuell und in der Zukunft ein Sicherheitsproblem in nicht gekanntem Ausmaß herauf beschworen werden könnte und dies ausgerechnet von einer Kanzlerin in die Wege geleitet worden ist, die eine Wiederholung der Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten zu verhindern versuchte, kann als Tragik von historischen Ausmaßen bezeichnet werden. Schließlich ist auch die Flüchtlingspolitik ein Versuch, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, um Erinnern als zukunftsgestaltende Kraft zu nutzen.
Verhindern, dass die Gräuel der Vergangenheit zur Gegenwart werden, prägt die Arbeit vieler Juden, darunter KZ-Überlebende und deren Nachfahren.
Zum Beispiel der Dokumentarfilm des Filmemachers und Produzenten Janusch Kozminski„183 Tage”. Er ist ein Versuch, durch die Analyse der NS-Verbrechen der Gegenwart einen Spiegel vorzuhalten.
Als letzter Film einer Trilogie, die mit dem hoffnungsvollen Teil Eins „Wir sind da! Juden in Deutschland” begann, – für den Kozminski und sein damaliger Autor Richard Chaim Schneider den Bayerischen Filmpreis erhielten – , widmeten sich die weiteren Teile den nicht bewältigten Aspekten des heutigen jüdischen Lebens.
Dazu gehört die Integration der jüdischen Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen GUS ebenso wie der Anfang 2015 vorgelegte dritte Teil „183 Tage”, der sich dem Ersten Frankfurter Auschwitz-Prozeß (1963 – 1965) widmet.
Zu den Besonderheiten des Films gehört, dass er das Material im O-Ton und ohne Kommentare und Erläuterungen präsentiert. Das mag den Zuschauer befremden. Doch dies ist zugleich ein machtvolles Mittel durch Stille, im Wechsel mit den Aussagen der Opfer und der Angeklagten, sich den Taten und deren unausgesprochener Wahrheit zu nähern.
Keiner der Angeklagten hat seine Schuld eingestanden. Die Angeklagten haben ihre Taten in falsche Worte gefasst und Lügengebäude errichtet. Keiner hat sich entschuldigt. Im Gegenteil. Die Täter traten selbstgerecht auf und hielten an ihrem Wahn, pflichtgemäß und „richtig” gehandelt zu haben, fest.
Die durch Sprachmanöver verleugnete, verdrehte, verstellte Wahrheit, fördert immer wieder Verbrechen zutage, die in grauenhafter Erbarmungslosigkeit von den Bürokraten des Tötens am Ende gleichmütig, ja belanglos und nebensächlich bestätigt werden.
Dass ausgerechnet der Blick auf die Vergangenheit Kozminskis Trilogie beendete – übrigens kurz bevor der Filmemacher und Produzent Janusch Kozminski (Jahrgang 1949) im November 2015 viel zu früh verstarb, schließt einen Kreis. Die hier aus den Archiven gezerrte „Vergangenheit” ist in mancher Weise genau das nicht, was sie vorgibt zu sein: vergangen!
Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, dem kommt das Vergangene vertraut vor. Es ist die Sprache selbst, die eine Brücke bildet zwischen den Verbrechen von einst und jetzt, Verbrechen, denen gemeinsam ist, totale Macht und Kontrolle ausüben zu wollen, wozu auch die Entscheidung über Mensch und Untermensch, Leben und Tod gehört.
Die Auschwitz-Prozesse von Frankfurt am Main waren unter Leitung des Generalstaatsanwaltes von Hessen Fritz Bauer die ersten Prozesse, in denen Nazi-Täter vor einem deutschen Gericht angeklagt wurden. Sowohl den Tätern, ihren Verteidigern, als auch der Öffentlichkeit und den Medien fehlten noch jene Strategien, die uns heute vertraut sind: routiniertes Präsentieren des Grauens, geschmeidiges, alltagstaugliches sprachliches Aufbereiten und Verbergen.
Die Brüche der Logik, das Widersinnige, Unfassbare, wie es in den wie selbstverständlich vorgetragenen Mord-Schilderungen immer wieder aufblitzt, erscheinen so belanglos, dass der Zuschauer meint, nicht richtig gesehen, nicht richtig gehört zu haben; sie lassen die Taten ebenso monströs wie banal erscheinen.
Da wird ein Mensch getötet, so als wäre es nichts. Da wird eine Verletzung, eine tödliche Injektion, ein Mord erwähnt. Harmlos, beinahe unschuldig. Wie Schuppen fällt es dir von den Augen. Es ist die Sprache, mit denen du getäuscht wirst. Sie verniedlicht den Mord und verharmlost die Heimtücke und den Verrat der Täter an den Opfern.
Daher ist es keine Überraschung, dass Kozminski ausgerechnet Manipulationstechniken, und die Frage von Sprache und Macht, in den Mittelpunkt seiner Auschwitz-Prozeß-Dokumentation stellt. Und genau hier liegt auch die Brisanz dieses Films, der heute von überraschender Aktualität ist und unbedingt in einer Gedenkstunde für die Opfer des Holocaust gezeigt werden sollte.
Dr. Hanna Rheinz
Tags Gedenkstunde für die Opfer des Holocaust / der Schoah
Illustration: Die Vergangenheit ist unsere Gegenwart.
Bildnis einer jungen Frau, „KZ-Gefangene”
Zeichnung von Hanna Rheinz