Warum, wird immer nur an Todestage erinnert? Und nicht an Freudentage? Was ist schöner als eine Bestätigung im Amt? Ein Zeugnis darüber, gute Arbeit zu leisten im Dienst für den Staat, für Volk und, nein, nicht “Vaterland” das wäre zu verfänglich … Nennen wir es im Dienst der Region, die einen leben, wirken und wohnen läßt.

Die mit Macht, Einfluß und Selbst-Marketing verbundenen Events sind eine willkommene Gelegenheit sich der selbstlosen Menschen unseres Landes bewußt zu werden. Was ist enger mit Karriere-Events verbunden als Preis- und Ordensverleihungen, deren Themen so breit gefächert sind wie die Geschichte selbst. Vom Aachener Preis wider den Tierischen Ernst bis hin zum Preis für Würdenträger, die Amt und Überzeugung der Erinnerung an die Toten, Ermordeten, Opfer der Geschichte zur Verfügung stellen und dabei zu Recht gelobt werden.

Ganz nebenbei stellt die Preisverleihung unter Beweis, daß sich richtiges Tun auch lohnen kann. Womit nicht nur gute Taten, sondern vor allem die richtigen politischen Leitlinien gemeint sind, also Reden, Positionen, Strategien, die den Zeitgeist treffen. Lebenswege, die den richtigen Pfaden zielfindend folgen. Der liegt vorne, dem alle anderen folgen. Daher liegt es auf der Hand, daß die Nummer Eins im Staat besonders viele Preise erhält – getreu dem Prinzip The Winner takes it All … Gerechter Lohn für rechtschaffene Haltungen und so. Wobei diese Formulierung einigen aufstoßen könnte. Eine linke Haltung jedoch wäre sprachlich zu verräterisch. Diese Jargon-Finessen einmal ausgeklammert, steht fest, daß Preise das nationale Selbstwertgefühl stärken, was jedoch auch nicht allen Preisträgern recht sein dürfte. Wie dem auch sei: Preise beleben die Geschichte, den gesellschaftlichen Diskurs, erklären eventuelle Konkurse und verbinden elegant Gestern, Heute und Morgen und statten sie mit ihrer wie immer wohlverdienten Würde aus.

Deutsche Alpha-Männchen stehen weit oben, wenn ein Preis zu vergeben ist. Preise jüdischer Herkunft oder sogar aus Israel sind besonders beliebt. Wie auch das Alphatier weiblichen Geschlechts, unsere verehrte Frau Kanzlerin, bereits mehrfach die Ehre hatte zu erfahren. Bedauerlich freilich ist, wenn der Preisträger nach dem Würden-Akt wegen irgendwelcher Unregelmäßigkeiten in Ungnade fällt; Unversehens geraten nun die Preisstifter in die Zwickmühle, und müssen sich fragen lassen, ob sie dem Preisträger seinen Preis womöglich wieder aberkennen sollten. Was folgt: Gewissenspein! Schande! Der gute Ruf! Und alles im Blick von allen anderen, also im internationalen Kontext. Was bleibt: Wir erinnern uns nur an das Gute. Und das ist gut so.

Als der Leo Baeck-Preis an den Bundespräsidenten a. D. Christian Wulff ging. 
 Ein Kommentar von Hanna Rheinz

Dem Zentralrat gingen  allmählich die Verdienstorden aus. Die Geschwindigkeit mit der sich die Bundespräsidenten die Klinke in die Hand drücken, bringt die Funktionäre jüdischer Verbände in die Bredouille.  Würdenträgern wurde in vorauseilendem Gefälligsein ein Preis verliehen, ohne daß dem Preisträger Zeit für seinen Part des Deals blieb: Noch bevor  die Früchte der guten Tat eingefahren werden konnten, war der Geehrte bereits in Ungnade gefallen. Und mit ihm der Preis. Der ist gleichfalls perdu, ja sogar – es muss gesagt werden – in den Dreck gezogen worden. Sehr zum Missfallen der honorigen Preisverleiher; sie hatten aufs falsche Pferd gesetzt, folgten der im Mittelalter bewährten Überlebenstaktik, wie Kammerdiener ihrem Fürsten auf Teufel komm raus gefällig zu sein. Ein kulturelles Erbe, das sich, wie anderes Gerümpel aus verdorrter Hand, nicht notwendigerweise als gegenwarts-, oder zukunftstauglich erweist.
Wird der neue Präsident das Ruder herumreißen? Den beschleunigten Verfallszeiten präsidialer Würde Einhalt gebieten, dem entehrten Preis zu altem Glanz verhelfen, das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen? Ein Vertrauen, das brüchig ist und  Missstände erahnen lässt: Macht, Eigennutz, Wegsehen.
Zum Beispiel die nie aufgeklärte Veruntreuung des Werner Nachmann, der sich der Entschädigungsgelder von Holocaustüberlebenden bemächtigte, um eigene Schulden zu begleichen. Stört es heute noch jemanden, dass die Causa Nachmann – offenbar mit Billigung der Strafverfolgungsbehörden – nie aufgeklärt worden ist? Keiner erinnert sich noch. Kein Wunder, dass die Verquickung von Amt und Eigeninteressen weiterhin als Kavaliersdelikt gilt. Wie ist es mit dem vielbeschworenen «Zusammenhalt in schweren Zeiten» vereinbar, dass mit Billigung der Gemeindeführung (ehrenamtlich) und des Amts- und Angestelltenapparats (mit Ein- und Auskommen, unzähligen Ehrennadeln, Medaillen, Orden und Preisen ruhiggestellt) eine Zwei-Klassen-Welt von Juden entstanden ist? Sie besteht aus jenen, mit denen man redet und anderen, die man totschweigt. Was ist davon zu halten, daß die Öffentlichkeitsarbeit vornehmlich auf die Einbindung der Inneren Zirkel der Mächtigen gerichtet ist?

 Wie kommt es, dass vermeintlich politisch nicht korrekte Themen außen vor gelassen werden und und Meinungsäußerungen  nur von jenen angefordert werden, deren Meinungen ohnehin bekannt sind? Was ist davon zu halten, dass die Mittel, sogar unter dem Spardiktat, immer nur unter denselben verteilt werden? Und dass die Tochter von Albert Speer bessere Chancen auf Förderung durch den Zentralrat der Juden hat als ein heimisches Gewächs, das neue Pfade wählt und ebensolche Fragestellungen?

  Miteinander Reden
Wie schwer das fällt (es scheint dort am schwersten zu fallen, wo es am lautesten reklamiert wird), zeigt die Gemeindeversammlung;  Die Reden ufern gerne aus, dauern zwei, ja drei Stunden. Und bügeln jedwede Zwischenfrage gnadenlos nieder. Und wenn «Aussprache » satzungsgemäß auf dem Programm steht? Methode panem et circensis: Gratisreisen an Stätten vergangener jüdischer Blüte und in die Zentren der Macht.   Noch bevor die Frage «Gibt es noch Fragen» pro forma gestellt, übersetzt, noch nicht verhallt, geschweige denn beantwortet ist, wird die aus allen Poren strömende Disziplin kurzfristig über Bord geworfen. Eine Gratisreise lockt.. «Es lohnt sich eben auf die Gemeindeversammlung zu kommen», konstatiert die Vorsitzende, was nicht zu widerlegen ist. Lästert da etwa jemand, dies sei ein peinliches Spektakel misslingender, weil gefürchteter, als Kontrollverlust missverstandener Demokratie? Der zaghaft in sich hinein genuschelte Einwand, die einzige Wortmeldung heute, geht unter.

Auf der politischen Bühne wirkt sich das Nebeneinander Herreden nicht weniger negativ aus. Vom ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck wurde berichtet,  er habe von Mitarbeitern zum Geburtstag das Bild eines Huhns überreicht bekommen, das wild um sich flattert und kräht «Ich bin ein Adler. Ich bin ein Adler». Heribert Prantl beschrieb Gauck als einen geschickten und verbindlichen Mann, «dessen Stärke das predigerhafte Pathos ist, das aber thematisch schmalspurig ist». In seiner Rede beim Neujahrsempfang der Evangelischen Akademie Tutzing im Januar 2011 äußerte Gauck: «Es ist meine tiefe Überzeugung, dass die Freiheit das Allerwichtigste im Zusammenleben ist und erst die Freiheit unserer Gesellschaft Kultur, Substanz und Inhalt verleiht.”

Dennoch verband  den Pastor aus Mecklenburg nichts mit Stéphane Hessel und dessen «Empört Euch!» Im Gegenteil. Gauck, der Adler, wähnt im Westen, dem «Land der Freiheit», die Freiheit bereits gefunden zu haben; Hessel hingegen weiß wie trügerisch die vermeintlichen Freiheiten des Westens sind; es sind die Freiheiten des Kapitals und des Konsumierens. Die Freiheiten einer Welt, in der jeder des anderen Verräter und Komplize ist; Freiheiten, die immer wieder entzogen werden.
Wulff ist  wenig später unter die Räder der Verdammung geraten: Seine Kritiker zeichneten sich dadurch aus, das,  was sie sich  selbst zuschulden haben kommen lassen, bei anderen zu  verfolgen. Sie treten lieber als Ankläger auf als über  die eigene Komplizenschaft nachzudenken.  Man erinnere sich des Herausgebers der «Zeit» Josef Joffe, der in seiner Rolle als Enthüllungsjournalist auftrat und Christian Wulff gehörig in die Mangel nahm. Wer im Archiv blättert, entdeckt, dass Josef Joffe und seine Frau bis vor wenigen Jahren in der «Zeit» im Auftrag der Autokonzerne eine Artikelserie veröffentlichten, die aus Lobesarien auf deutsche Nobelkarossen bestand. Keiner störte sich an der schamlos inszenierten Produktwerbung. Die Förderer und Gewinner des Neoliberalismus legen heute Wertmaßstäbe an andere, deren Nichtbeachtung bis vor kurzem die Bedingung der Möglichkeit ihres eigenen Aufstiegs war. Sie agierten keineswegs – wie sie es Christian Wulff  unterstellten – in der Grauzone der Illegalität. Die Selbstverständlichkeit mit der sie heute den Stab über ihre früheren Gesprächspartner brechen, zeigt wie kurz ihr  Gedächtnis  ist und wie sehr ihre Urteile von eigenen Interessen moduliert werden.

Von Häutung zu Häutung bedient man sich der Gnade des Vergessens. Robert Musil hat ihn einst beschrieben, den Mann ohne Eigenschaften; heute finden wir ihn zuhauf. Ohne je über die eigene Korrumpiertheit nachzudenken, erreichen sie ihr Ziel, wenn sie jene demontieren, die gerade ein wenig mehr Machtfülle an sich binden konnten. Vollmundig, die Glossolalie sinnarmer Worthülsen, zu Klischees mutierte Gefühls- und Denkfiguren pflegend, reklamieren sie die verlorene Würde eines Amtes, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ihre eigenen Handlungen nahtlos übergehen  in das, was sie kritisieren und das Material bei  der Demontage der eben noch hofierten Politiker ist.

Vergessen ist, dass die Armut der Vielen, also gerade die Unfreiheit – Vorbedingung der Möglichkeit ist, die Kaste der Machtträger weiterhin nach Belieben agieren zu lassen.  Des Präsidenten Entrée: Kritik an den Kritikern. Dies machte ihn wohl für die CDU und CSU präsidiabel. Für einen Mann, der sich vornehmlich der Bilanzierung seines eigenes Lebens widmet, nur recht und billig.
Die SPD in der bekannten Verräter-Position mit der sie die Agenda 2010, die Hartz-Gesetze und Ein-Euro-Betrügereien in historisch geübter Weise wegzustecken vermag. Wird der Pastor als Präsident mit den vom Staat geschaffenen Niederungen des Prekariats in Berührung kommen? Anders als in abfälliger Weise? Wird er die Brüche der Gesellschaft, das immer stärkere Auseinanderdriften von Arm und Reich, lindern wollen? Wird er Teilhabe ermöglichen? Nicht mittels großer Worte, sondern durch guter Taten?
Es ist zu befürchten, dass auch Herrn Gauck, Bundespräsident (a.D.) der Leo-Baeck- Preis angetragen wird. Ein, man hört es bereits, würdiger Kandidat mit Ecken und Kanten, die er geschmeidig einzusetzen versteht, und, wie sollte es anders sein, ein veritabler Freund Israels. Soll er ihn haben, den Preis.

Je schneller, desto besser.

Der hier gekürzte und aktualisierte Artikel (Stand 2020) erschien unter dem Titel:

Von Häutung zu Häutung
 Christian Wulff, Joachim Gauck, Zentralrat und Leo-Baeck-Preis
 In: «Jüdische Zeitung», März 2012