Wie aus den Hütern der Tiere, „jüdische Tierquäler“ wurden
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Gestern feierte man international den Welttierschutztag. Dieser wurde 1924 von einem jüdischen Tierschützer, Heinrich Zimmermann, gegründet. Juden werden auch heute noch in der Tierrechts-Öffentlichkeit als „Tierquäler“ wahrgenommen. Dabei waren weltweit zahlreiche Tierrechtler der ersten Stunde jüdischer Abstammung. Die Diffamierungen und Ausgrenzungen der Nationalsozialisten wirken jedoch bis heute ungebrochen fort.
von Hanna Rheinz
Tierschutz und Nationalsozialismus
Es gehört zu den historischen Ungereimtheiten, dass Nazi-Deutschland unter allen Nationen die erste war, die 1933 ein Tierschutzgesetz verabschiedete, das Tierquälerei unter Strafe stellte. Viele Nationalsozialisten waren wie Herrmann Göring, Jagdgegner. Das Reichstierschutzgesetz erliess ein Verbot des betäubungslosen Schlachtens, das „Schächtverbot“. Die Vivisektion wurde verboten. Eine Massnahme, die sich auch gegen zahlreiche Wissenschaftler mit jüdischer Abstammung richtete.
Am 28. August 1933 drohte Herrmann Göring in einer Radiosendung damit, Tierquäler in Konzentrationslager einzuweisen. Bereits wenige Monate nach der Machtergreifung beschrieb Herrmann Göring die Konzentrationslager als Straflager, in denen Menschen interniert wurden.
Tierärzte waren die Berufsgruppe, die sich besonders rasch den Nationalsozialisten anschloss; Ende 1933 waren bereits 75 Prozent aller Veterinäre der Tiermedizinischen Hochschule Hannover und die Hälfte ihrer Studenten Mitglieder der NDSAP (Quelle: B.Sax Animals in the Third Reich, 2000).
Obwohl das Reichstierschutzgesetz vom 24. November 1933 in mancher Weise mit seinen radikalen Tier- und Naturschutzforderungen seiner Zeit voraus war, diente der Tierschutz dazu, die jüdische Minderheit zu schikanieren und die Ideologie der Herrschaft der Starken über die Schwachen zu untermauern. Raubtiere und deren Verhalten galten den Nazis als Vorbilder für „germanische“ Menschen. Ziel war, die Schwachen, Kranken, Volksfremden zu eliminieren und die höherwertigen, rassereinen Menschen zu fördern. Dies geschah durch Menschenzuchtprogramme wie die Aktion Lebensborn. Rassereinheit galt als unabdingbar für die Volksgesundheit. Tiere versinnbildlichten die Merkmale des Täter und Opferstatus. Vorbild der einen war das Raubtier, dessen willige Opfer waren die Schafe. Rollen, die auch Völker übernehmen konnten. Die Inszenierung der Ideologie durch Merkmale, die Tieren zugeschrieben wurden, veranschaulicht die Rassetheorie; zudem ermöglichten sie deren verführerisch-manipulative Nutzung. Die Aussage: ebenso wie Tiere, können auch Völker als minderwertig zur Ausrottung bestimmt werden. Die biologisch schwächeren Rassen mussten wie im Tierreich den höherwertigen Rassen weichen, also dem arisch-germanischen Typus, dem sich die Nationalsozialisten selbst zuordneten. Tierliebe und Tierschutz, ebenso die angebliche „Bestien-Natur“ des Tieres, legitimierten das Recht des Stärkeren über den Schwachen. Der Tierschutz war Teil der NS-Propaganda; Ziel war es, das Herrenmenschentum durchzusetzen.
Dass der „Wolf“ dem „Schaf“ überlegen war, galt auch für Völker.
Doch damit nicht genug. Den deutschen Juden wurde 1942 aus rassischen Gründen und wegen des Vorwurfs der Tierquälerei die Haltung von Heimtieren verboten.
Eine Überlebende erzählt
“Ich erinnere mich an unseren Kanarienvogel”, berichtet eine Überlebende. Bei schönem Wetter habe ihr Mann, der sehr an diesem Vögelchen hing, den Vogelkäfig auf die Fensterbank in die Sonne gestellt. Zur Freude seines gefiederten Freundes. Vermutlich habe ein Nachbar dies gesehen und ihn denunziert. Gesetz ist Gesetz. Da gibt es keine Ausnahmen. Jedenfalls sei ihr Mann zur Geheimen Staatspolizei einbestellt worden. Die Verordnung vom 15. Februar 1942 untersagte es den deutschen Juden Heimtiere zu besitzen. Ihr Ehemann hatte es jedoch nicht über sich gebracht, sich von seinem Kanarienvogel zu trennen.
Der Mann kehrte vom Gestapo-Verhör nicht mehr zurück. Einige Wochen später erhielt seine Ehefrau die Aufforderung, die Asche ihres Mannes abzuholen, wobei eine Gebühr von 3 Reíchsmark fällig werde, die sofort zu zahlen sei. Es gibt zahllose Fälle wie diesen. Deutsche Juden, die von einem Tag zum anderen straffällig wurden, weil sie nicht schnell genug der Anordnung folgten und ihr Tier abgaben.
Dies war nicht der Beginn des Leidensweges. Die Verordnung vom Februar 1942 war für viele deutsche Juden die letzte Schikane vor der Deportation. Eine Sollbruchstelle. Sie hatten sich zuhause gefühlt. Anerkannt. Die Nachbarn hatten einander gegrüsst. Dann gingen Unterschriftenlisten durch die Siedlung. Die Juden sollten raus. Mit ihrer selbst bezahlten Fahrkarte fuhr man sie mitten hinein in das Grauen, dem sie keinen Namen mehr geben konnten.
Verlust der Arbeitsstelle, Enteignung, Deportation, Ermordung; dass man die deutschen Juden als Tierquäler hinstellte, ihnen ihre Tiere wegnahm, an denen sie hingen, ihnen die Leine, den Käfig aus der Hand riss! Der fassungslose Blick ihres Tieres mag für viele das letzte Bild gewesen sein, an das sie sich zuletzt erinnerten.
Adolf Hitler und der Tierschutz
Federführend bei dieser auf Judenhass beruhenden Diskriminierung war – wie schon im Reichstierschutzgesetz von 1933, das nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland in die deutsche Tierschutzgesetzgebung übernommen wurde – kein anderer als Adolf Hitler. Hitlers persönliche Entwicklung enthält bis zum heutigen Tage ungeklärte Elemente. So wurde der junge Adolf Hitler vom jüdischen Hausarzt der Familie Hitler als freundlich und interessiert Juden gegenüber geschildert. Der Linzer Arzt Dr. Eduard Bloch behandelte Adolf Hitlers krebskranke Mutter. Wann Hitler sich zu einem „Judenhasser“ entwickelte, bliebe, so Bloch nach seiner Emigration in die USA, in einem Interview für die Zeitschrift „Collier`s“ im Jahr 1941, im Dunkeln.
Ebenso die Frage, warum er Juden als grausame Tierquäler und Untermenschen hinstellte. Anstatt das jüdische Verbot der Tierquälerei zu würdigen, verdrehte Hitler die Tatsachen und unterstellte Juden Tierquäler zu sein; dies führte dazu, dass bereits am 21. April 1933 das Koschere Schlachten (Schächten) verboten worden war.
Bis zum heutigen Tag sind – was die Rolle des Tierschutzes in der NS-Propaganda und bei der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung angeht – viele Fragen offen. Sicher jedoch ist, dass die deutsche Tierschutz- und Tierrechtsbewegung die einseitige Diffamierung der jüdischen Schlachtmethode beibehalten hat. Auch die Ausgrenzung jüdischer Tierschützer scheint ungebrochen, es sei denn sie sind tot. Ein Beispiel dafür ist Heinrich Zimmermann.
Ermordet im KZ: Wie es einem jüdischen Tierschützer erging
Als sich Heinrich Zimmermann am 4. Oktober 1925 im Berliner Sportpalast in seinem Vortrag einmal mehr dafür einsetzte, die grausame Behandlung der Tiere weltweit zu ächten und dafür plädierte, einen internationalen Tierschutztag einzuführen, sprach er als Schriftsteller und Hundeexperte. Mit seiner 1923 gegründeten Zeitschrift „Mensch und Hund“ hat er dazu beigetragen, die Kenntnisse über den wohl ältesten tierlichen Begleiter des Menschen zu verbreiten, um die „Schwarze Pädagogik“ abzuschaffen, die mit ihren drakonischen Strafen bis zum heutigen Tag die Erziehung von Hunden beeinflusst. Wie andere Aktivisten der ersten Generation der Tierschutzbewegung war Heinrich Zimmermann Jude. Sein Mitgefühl und seine Forderung nach Gerechtigkeit für Tiere mag daher auch mit jüdischen Traditionen und Lehren zusammenhängen. Wie sehr unterscheidet dieser Tierschutz sich von der Abrichtung der Wachhunde wie sie die Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern praktizierten. In einem dieser Lager wurde Heinrich Zimmermann 1942 ermordet. 1942, dem Jahr als den deutschen Juden verboten wurde, Tiere zu halten.
Die im Reichstierschutzgesetz verankerte „arische Tierliebe“ hatte keine Einwände dagegen Deutsche Schäferhunde auf die KZ-Häftlinge zu hetzen. Obwohl die Lagerkommandanten den Kontakt zwischen den Hunden und den Häftlingen verboten, um ihre Angriffsfreude nicht zu mindern, kam es offenbar immer wieder zu Begegnungen zwischen den mit harter Hand erzogenen Hunden und den ebenso miserabel behandelten Häftlingen. Das Erziehungsmotto der „Herrenmenschen“: Die Hunde „müssen zu reissenden Bestien erzogen werden“. Ein überlebender Häftling schilderte seine Freundschaft mit einem der Hunde. Als der SS-Hundeführer sah, dass sein Hund seinen Kopf auf die Knie des Häftlings gelegt hatte, zog er seine Pistole und erschoss seinen Hund vor den Augen des Häftlings. Dem Häftling drohte er, ihm gleiches widerfahren zu lassen, wenn er nochmals einen Hund „versauen“ würde. (Quelle, Zeugenaussage aus dem Jahr 1967. B.Perz in Dachauer Hefte 12. Jg, H 12, 1996).
Zimmermann hätte diese Anekdote sicher gefallen. Doch vermutlich war der überzeugte Tierschützer, Jude und Hundefreund zu diesem Zeitpunkt von den Nazis schon ermordet worden. Sein Erbe lebt weiter. An jedem Welttierschutztag am 4. Oktober.
Hanna Rheinz, Promovierte Psychologin und Magister der Kulturwissenschaften, Publizistin für zahlreiche Printmedien, hat die Mensch-Tier-Bindung zum Mittelpunkt ihres intellektuellen, wissenschaftlichen und künstlerischen Schaffens sowie ihres Lebensalltags gemacht. In zahlreichen Büchern, Essays und Artikeln hat sie aus jüdischer Perspektive-, die Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung analysiert.