Was tun bei wiederholten anonymen Anzeigen? Die Frage könnte auch anders lauten: Wie lebt es sich als Zugezogene, Status unbekannte Art, in einem nicht auf “andere Arten” ausgerichteten Umfeld? In einer dünn besiedelten Region zwischen Ozeanen der Sprachlosigkeit. Ausgefallen, unmotorisiert. Ohne den landesüblichen rasierten Golf-Rasen vor der Tür, der im Wochenrhythmus lautstark in Kürzest-Form beschnitten wird? In dem es Zeitgenossen, näher oder weiter entfernte Nachbarn gibt, deren Name du nicht kennst, die sich dir nie vorgestellt, nie ein Gespräch mit dir gesucht haben, und die – aus Gründen, die du nicht kennst -, deine Existenz bedrohen, indem sie dich mit anonymen Anzeigen verfolgen? Anonyme Anzeigen, zu denen sie von den Ämtern ermutigt werden, die – im Namen des Gesetzes – überraschend eifrig sodann gegen dich vorgehen.

Gegen vieles kannst du kämpfen. In einem Rechtsstaat gibt es Möglichkeiten sich gegen Willkür und Anschuldigungen zur Wehr zu setzen. Der Berufstätige wendet sich an den Berufsverband oder an das Arbeitsgericht, um sich gegen Mobbing, gegen die Willkür von Arbeitgebern oder Kollegen, gegen Verleumdung und Rufschädigung zu schützen. Der Arbeitsplatz geht vermutlich verloren, doch der Rückzug findet in geordneten Bahnen statt.

Auch Vermieter, die dich per Mietvertrag verpflichten, ihr Haus auf deine Kosten zu renovieren, um dir nach der Renovierung wegen Eigenbedarfs zu kündigen, können mittels Gerichtsbeschluß eine Weile in Schach gehalten werden, bis du das Weite suchen, das Feld räumen kannst.

Unheil kann per Recht und Gesetz abgewendet werden, jeder erhält die Chance, sich eine neue berufliche Existenz aufzubauen, eine neue Bleibe zu finden. Diese Annahme war Teil der “Rechtssicherheit”, auf die sich jeder Bürger, nicht nur in Krisenzeiten – bis vor kurzem verlassen konnte.

Doch was, wenn sich die Grundlagen verändern? Die Definitionen? Die Antwort auf die Frage, Was eine Gefahr ist? Nach welchen Kriterien diese Gefahr festgestellt wird? Wer für wen – womöglich für alle eine Gefahr ist? Worin diese Gefahr liegt? Wie diese Gefahr gemeldet, wie sie öffentlich bekannt gemacht, wie sie verfolgt wird?

Und wer die Weichen stellen soll, um diese Gefahr zu eliminieren?

Seit einiger Zeit ist etwas im Gange. Um das zu bemerken, muß man weder besonders belesen, noch besonders feinfühlig sein. Daß da etwas aus dem Ruder zu laufen beginnt, merken am frühesten jene, die nicht durch die Gnade der existentiellen Sicherheit geschützt sind, sondern sich eher in den Randbezirken aufhalten, dort, wo sich die Brüchigkeit der individuellen menschlichen Existenz recht schnell bemerkbar macht.

Es dauert nicht lange, und du spürst woher der Wind weht. Deine eigene Ohnmacht wird dir vor Augen geführt. Deine Rechtlosigkeit. Die Erfahrung, daß es keine Möglichkeit gibt, sich zu wehren, angesichts des Dickichts der Anschuldigungen und Unterstellungen, die irgendwer, irgendwo anonym gegen dich vorgetragen hat, ohne daß irgendeiner den Namen des Klägers kennt.

Du hast keine Zeugen. Niemanden vor Ort, der für dich spricht, der dir wohlgesonnen ist. Niemanden, der auch nur von dir weiß, der dich kennt in deinem Leben, deiner schieren Existenz, wie sie einst war, wie sie heute ist. Und wehe, du zeigst deine Verletzlichkeit ! Der Chor der Gehässigen ruht und rastet nicht. Jeder verbindet Klischees, Vor-Urteile, Ab-Urteilungen mit dem, was dir widerfährt. Von einem Augenblick zum nächsten kannst du Dutzende, Hunderte, Tausende Feinde und Verfolger aufrühren. Sie warten auf solche wie dich, Tag und Nacht, jederzeit bereit, dir dein Todesurteil vor die Füße zu werfen. Deine Ohnmacht wird dir Tag für Tag vor Augen geführt. Ohnmacht angesichts der zunehmenden Ämterwillkür, der Staatswillkür, der unter Druck gesetzten Dienstleister, jener, die deine Situation dazu nutzen, dich zu gängeln, zu schikanieren. Du glaubtest gelernt zu haben, damit umzugehen. Dich nicht provozieren zu lassen. Die Angriffe auszusitzen.

Allerdings klappt das nicht immer. Es klappt zum Beispiel nicht, wenn sich ein Amt mit der Macht des Staates mit deinen Verfolgern verbündet. – und du ohnmächtig erkennst, daß du keine Mittel hast, keine Wege dich zur Wehr zu setzen. Deine Ohnmacht, die Gleichgültigkeit des Systems: Die Vergeblickeit deiner “Anzeige gegen Unbekannt” steht dir vor Augen.

Was kann der einzelne gegen anonyme Anzeigen machen, wenn der Staat und dessen Vertreter sie ungeprüft und unkritisch verfolgen, um Menschen ohne Augenmaß, ohne Wenn und Aber zu beschuldigen? Dieser unfaßbare, uralte Vorwurf der Tierquälerei, der Mißhandlung von Tieren steht wieder einmal im Raum. Diesmal geht es um die angebliche Vernachlässigung zweier Tiere, die seit Jahrzehnten in deiner Obhut sind. Nicht der Tierschutz ist das Problem, sondern jene, die sich scheinheilig auf ihn berufen!

Daß es endlich in einigen Bereichen wirksame Tierschutzgesetze – auch auf europäischer Ebene gibt, ist nicht zuletzt den Bürgern, den Tierschützern, Tierrechtlern, Tierärzten, Tierethikern u.a. zu verdanken. Während der Französischen Revolution prägte der Girondist Pierre Vergniaud die Redewendung:

“Die Revolution frißt ihre Kinder” .

Genauer: „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder“ – ein Zitat, das in der einen oder anderen Variante bis heute als Titel auf zahlreichen Schriften auftaucht. Das Bild der Revolution, die ihre Kinder frisst, ist auf die Tierschutzgesetzgebung übertragbar. Von Haß und Ressentiment befeuerte Behauptungen werden nicht nur in den sozialen Medien in mittelaterlich anmutender Weise verbreitet und vermehrt, sondern auch von Haß-Schlupflöchern wie das Instrument der anonymen Anzeigen.

Die Behauptung, der Staat – verortet in einer Region wie Niedersachsen, in der Hunderttausende Nutztiere, wozu auch Pferde, gezüchtet für den internationalen Markt gehören -, müsse jeder anonymen Anzeige nachgehen, selbst wenn sie bereits wiederholt eingegangen und der angeschuldigte Tierhalter längst überprüft worden ist, erscheint fadenscheinig. Der Staat und seine Beamten werden hier von cleveren und feigen Zeitgenossen mißbraucht und als Helfershelfer zur Ausführung von menschenverachtenden Ressentiments und Haßimpulsen benutzt.

“Frag den Staat” heißt die Aktion, mit der die Bürger in diesem Bundesland (Niedersachsen/Cuxland) dazu animiert werden, Nachbarn und Betriebe im Bereich Tierhaltung und Nahrungsmittel beim Amt anonym zu melden, um per anonymer Anzeige die festgelegte Kette staatlicher Sanktionen auszulösen, die sodann auf den Betreffenden niedergehen; Tierbesitzer sind eine besonders leichte Beute. Neben Lebensmitteln gehört die Tierliebe zu den wertvollen Gütern, an denen sich Ängste ebenso wie Aggressionen entzünden – und entfachen lassen, um “die Guten” auf “die Bösen” zu hetzen. An dieser Schraube läßt sich äußerst wirksam drehen, wenn es sich um individuelle Tierhalter handelt, denen die Gnade des Respekts vor der wirtschaftlichen Bedeutung der Nutztierzuchtbetriebe verweigert werden kann. Divide et impera ist auch hier die Staatsraison.

Da ist der angeblich “mißhandelte, hautkranke Esel”, der sich jedoch tatsächlich im jährlichen Fellwechsel befindet, der bei Eseln nun mal dramatischer aussieht und länger dauert als bei Pferden. Ein anderes Mal mangele es am Trinkwasser im Paddock vor dem Stall. Dabei wird “übersehen”, daß die Wassertränke wie üblich – im Inneren des Stall – hängt. Oder die Liegefläche des Paddock-Stalls sei morgens um 11 Uhr nicht sauber! Mit anderen Worten: es gibt eigentlich gar nichts zu beanstanden, was nicht überall anderswo auch festgestellt werden könnte!

Damit kein Mißverständnis aufkommt: Die Aufmerksamkeit, die Bereitschaft jedes einzelnen Bürgers in Notfällen aktiv zu werden, ist unerläßlich, wenn Tiere (ebenso wie Menschen) in Not geraten: Wenn, wie in dieser Region der Weiden, die sich bis zum Horizont erstrecken, Tiere (Kühe, Schafe und Zuchtpferde) auf den Sommerweiden kein Trinkwasser haben oder gar verletzt sind. Da gilt es unverzüglich zu handeln oder die Rettungsdienste zu informieren. Der Besitzer ist in vielen Fällen meist nicht bekannt oder nicht so schnell erreichbar.

Bei Einzeltierhaltung am Wohnhaus jedoch ist die Unterstellung, daß nicht der Tierbesitzer vor Ort der Ansprechpartner ist, sondern das staatliche Amt in der weit entfernten Stadt absurd. Da wird dem Tierbesitzer ohne Nachfrage, ohne Vergewisserung – Böswilligkeit unterstellt, Weide und Paddock werden als Tatort definiert. Die Botschaft solcher anonymer Anzeigen ist eindeutig: der Tierbesitzer darf ohne Skrupel kriminalisiert werden – und zwar unter Berufung auf Staat und Volkswillen!

Die Anonyme Anzeige, die Denunziation wird zur Kommunikationsform der ersten Wahl!

Anonyme Anzeigen zu instrumentalisieren, um Nachbarn zu schaden und sie als Ersatz für das Miteinander Reden zu nutzen war bis vor kurzem nur aus totalitäten Staaten bekannt. Es handelt sich um eine bewährte Methode zur Zersetzung und Zerstörung von zwischenmenschlichen Strukturen. Damit wird heute nicht nur nachbarschaftliche Feindseligkeit gefördert, sondern vor allem die Feigheit. Der Staat schafft den mündigen Bürger sang- und klanglos ab. Der einzelne bleibt zurück ohne Verbündete: Umzingelt erfahrungsgemaß – von Feinden! Während der Staat die einen als Staatsspitzel und Denunzianten nutzt, werden die anderen als (potentielle) Täter behandelt, an denen sich Aggressionen entzünden dürfen. Eine Methode, die aus den dunkelsten Kapiteln der Geschichte bekannt ist! Das Verfassungsziel Tierschutz wird dabei ad absurdum geführt.

WO in einer Welt der Haßprediger, die Falschheit und böswillige Unterstellungen willkommen heißen – sind jene, die sich für den Schutz aller Arten von Lebenwesen einsetzen, wozu auch jene besondere einheimische Art des Planeten Erde gehört … der – an Seele, Gemüt, Leib und Leben bedrohten Spezies, genannt … MENSCH ?

C: HANNA RHEINZ